


Hier ist eine Kurzgeschichte über Stjerne Radio und die Sabotagegruppe Holger Danske
HOLGER DANSKE ERHEBT SICH IM HINTERZIMMER VON STJERNE RADIO
Von Peter Birkelund
In der Istedgade 31 stand während der Besatzungszeit ein kleines Holzgebäude. Im Laufe der Jahre hatten dort verschiedene Geschäfte ihren Sitz, doch ab 1941 wurde es zu einem Radiogeschäft. Hinter der auffälligen Fassade von Stjerne Radio begann 1942 eine kleine Gruppe widerstandswilliger Männer damit, die Besatzungsmacht zu provozieren. Daraus entwickelte sich die illegale Sabotageorganisation Holger Danske – die größte ihrer Art.
Stjerne Radio wurde 2015 neu errichtet und beherbergt heute ein Museum über den dänischen Widerstand.
Anfangs verlief alles friedlich. Am 1. September 1942 übernahm der 35-jährige Carl Munck das Geschäft Stjerne Radio, das Radios, Grammophone und Schallplatten verkaufte. Im darauffolgenden Monat stellte er seinen Freund und ehemaligen Kameraden aus der Königlichen Leibgarde, Josef Søndergaard, als Geschäftsführer ein. Søndergaard hatte 1939–40 als Freiwilliger im Dänischen Finnlandkorps im Winterkrieg gegen die Sowjetunion gekämpft. Gemeinsam mit Carls jüngeren Brüdern Ove und Børge – ebenfalls ehemalige Gardisten – waren sie Mitglieder der Vereinigung Dänischer Finnlandfreiwilliger. Die Munck-Brüder selbst hatten nicht in Finnland gekämpft, doch sie sympathisierten stark mit dem finnischen Kampf gegen die kommunistische Sowjetunion.
So entstand im Herbst 1942 eine Basis aus vier verteidigungsbereiten Männern in dem Radiogeschäft.
Die Entwicklung des Krieges und die Situation unter der deutschen Besatzung waren ständige Gesprächsthemen im Laden. Es herrschte eine klare antideutsche Haltung, und im Hinterzimmer wurde heftig debattiert, wie man den Deutschen am besten schaden oder sie reizen könnte. Doch ohne Geld, Kontakte oder Waffen war das nicht einfach.
Zunächst äußerte sich ihr Aktivismus in gezielten Provokationen. Sie begannen damit, die dänische BBC-Mittagssendung aus London über einen Lautsprecher über dem Eingang zu übertragen – das zog neugierige Menschenmengen vor den Laden. Ein weiterer Lieblingsstreich war es, das Lied „It’s a Long Way to Tipperary“ abzuspielen, wenn deutsche Patrouillen vorbeimarschierten – so mussten sie im Takt mitlaufen.
Die Schaufensterdekoration war ebenfalls pro-britisch: große Karten der Frontlinien des Krieges und, im Sommer 1943, Spielzeugflugzeuge mit britischen und amerikanischen Hoheitszeichen, die über Sizilien flogen – dort waren die Alliierten im Juli gelandet.
Die dänische Polizei wie auch die deutschen Behörden nahmen die Provokationen wahr. Doch rechtlich war nichts davon verboten: Englische Radiosendungen zu hören war erlaubt, ebenso das Abspielen englischer Musik, und Kriegskarten wurden in legalen Zeitungen abgedruckt. Dennoch handelte es sich zweifellos um gezielte Provokationen – und sie mussten unterbunden werden.
Da die Gestapo erst nach dem 29. August 1943 eigene Polizeibefugnisse erhielt, lag es bis dahin an der dänischen Polizei einzugreifen. Beamte der Wache Svendsgade wurden wiederholt zu Stjerne Radio geschickt, um Munck und Søndergaard zur Mäßigung aufzufordern. Schließlich wurden BBC-Übertragungen im Freien verboten. Daraufhin richteten sie den Lautsprecher in den Hinterhof – bis auch das untersagt wurde. Danach wurde der Laden während der Sendungen verschlossen und Gäste ins Innere eingeladen.
Auch dänische Nazis und SS-Männer fühlten sich provoziert. Mehrmals versuchten sie, die Fensterscheiben des Ladens einzuschlagen. Das führte zur Bildung einer nächtlichen Wachtruppe zum Schutz des Geschäfts.
Trotz polizeilicher Verwarnungen, deutscher Beschwerden und Nazi-Angriffen machten die Männer bei Stjerne Radio weiter. Bald überschritten ihre Aktivitäten die Grenze zur Illegalität – sie begannen mit der Produktion von Untergrundzeitungen.
DE FRIE DANSKE
Im November 1942 nahmen die Männer von Stjerne Radio Kontakt zur Redaktion der Untergrundzeitung De Frie Danske auf. Die Munck-Brüder und Josef Søndergaard richteten im Hinterzimmer des Ladens eine illegale Vervielfältigungsstelle ein. Ein Teil des Materials – Schablonen, Papier, Tinte – wurde geliefert, doch den Handkopierer und eine Schreibmaschine mussten sie selbst beschaffen. Im Dezember 1942 konnten sie die erste bei Stjerne Radio produzierte Ausgabe verbreiten.
De Frie Danske war ein Jahr zuvor gegründet worden – als Dänemarks erste landesweite, nichtkommunistische Widerstandszeitung. Verfasst und verteilt von einer bürgerlichen Gruppe in Kopenhagen, erreichte sie rasch Leser im ganzen Land. Die Druckstelle bei Stjerne Radio war eine von mehreren in der Hauptstadt, die zur monatlichen Auflage von über 10.000 Exemplaren beitrug.
Mit der Ausweitung der Zeitungsarbeit wuchs auch der Bedarf an vertrauenswürdigen Helfern. Die Gruppe wurde erweitert – um weitere Gardisten und Finnlandfreiwillige. Die provokativen Aktivitäten zur Straße hin und die geheime Zeitungsproduktion im Hinterzimmer gingen Hand in Hand. Aus sicherheitstechnischer Sicht war das höchst unklug, da Produktion und Verbreitung illegaler Zeitungen höchste Priorität für dänische wie deutsche Ermittler hatten. Dennoch wurde die Druckerei im Hinterzimmer nie entdeckt.
Der Laden in der Istedgade wurde zu einem Anziehungspunkt für widerstandswillige Menschen. Einige halfen bei der Produktion, andere diskutierten stundenlang im Hinterzimmer: Sollte man bei Zeitungen bleiben – oder weitergehen?
Der Wunsch wuchs, eine Sabotagegruppe zu gründen – direkte Aktionen gegen Unternehmen, die mit den Deutschen kooperierten.
DIE SABOTAGEGRUPPE
Die entstehende Sabotagegruppe hatte einen etwas anderen Kern als die Zeitungstruppe. Während Carl Munck die Zeitungsarbeit geleitet hatte, übernahm Josef Søndergaard – nun unter dem Decknamen „Tom“ – die Führung der Sabotage. Carl Munck und der Arbeiter Max Bæklund, beide in der Verteilung tätig, schlossen sich der Sabotagegruppe an, während Ove und Børge Munck nur gelegentlich teilnahmen.
Neue Mitglieder waren u.a. der spätere Widerstandsanführer Poul Moesgaard („Ewald“), der Lederhändler Mogens Jarset („Bob“) und Jørgen Haagen Schmith („Citronen“), der später mit „Flammen“ – Bent Faurschou Hviid – berühmt wurde für den Kampf gegen dänische Denunzianten und Kollaborateure.
Zeitweise waren über 20 Personen aktiv an der Sabotage beteiligt – dazu eine ähnlich große Zahl von Unterstützern, die Quartiere bereitstellten, Fahrten übernahmen oder als Kuriere dienten.
Einige hatten in Finnland gekämpft, die meisten Wehrdienst geleistet, viele hatten Waffenkenntnisse – doch niemand kannte sich mit Sprengstoff aus. Dieses Wissen kam aus unerwarteter Quelle: der kommunistischen Sabotagegruppe Bopa. Ohne ihre politische Ausrichtung preiszugeben, schickte Bopa den erfahrenen Saboteur Knud Børge Jensen („Spræng-Smith“), um die Stjerne-Radio-Gruppe auszubilden, mit Sprengstoff zu versorgen und bei ersten Einsätzen zu helfen. Ihr eigentliches Ziel war es, die Gruppe zu rekrutieren – doch das wurde nie offen gesagt. Angesichts der antikommunistischen Gesinnung der Gruppe wäre eine Allianz wohl abgelehnt worden.
Dies war keine jugendliche Widerstandsgruppe wie der Churchill Club. Es waren erwachsene Männer – meist über 30 –, mit Beruf, Familie und Verantwortung. Sie wussten, worauf sie sich einließen.
Einen Namen bekam die Gruppe erst Anfang August 1943. Sie entschieden sich für „Holger Danske“. Der Name wurde nicht bei Stjerne Radio, sondern in einer Wohnung in der Overgaden neden Vandet 51B in Christianshavn festgelegt – dort erinnert heute eine Gedenktafel an den Ort.
SABOTAGE
Der erste Sabotageversuch fand am 7. Mai 1943 statt – in der Standard-Electric-Fabrik in Nørrebro, die Sender für deutsche Flugzeuge und U-Boote herstellte. Als Polizisten verkleidet überwältigten sie die Wachen und platzierten zwei Bomben mit je 5 kg TNT. Doch die Operation scheiterte – die Zünder funktionierten nicht.
Eine Woche später nahmen sie an einer größeren Bopa-Aktion in Tåstrup teil. Während Bopa drei rüstungsrelevante Fabriken sabotierte, sollte Søndergaards Gruppe – unter Spræng-Smiths Leitung – einen Bahndamm sprengen. Der Sprengsatz fing Feuer, explodierte aber nicht – es entstand kein Schaden.
Doch nun war ihre „Lehrzeit“ vorbei. In den nächsten drei Monaten führten sie rund 25 Sabotageaktionen und mehrere Waffenraubzüge durch.
Eine der bemerkenswertesten Taten war die Sabotage des Dagmarhus – Sitz des deutschen Reichsbevollmächtigten Werner Best. Ein Großangriff war nicht möglich, doch ein Zeichen sollte gesetzt werden. Geplant war ein Anschlag auf die Kantine mit Sprengstoff in Bierkisten – stattdessen entschied man sich, das Telefonverteilungsfeld im Keller zu sprengen.
Am 30. Juli, mitten am Tag, schlichen sich Max Bæklund und Mogens Jarset („Bob“) als Arbeiter hinein, platzierten die Ladung – doch sie zündete nicht. Sie mussten zurückkehren, um den Zünder zu wechseln. Zwei Minuten später explodierte die Bombe. Der Sachschaden war gering – die politische Wirkung enorm. Werner Best war wütend. Dänemarks Justizminister und der Direktor des Außenministeriums wurden einbestellt und scharf verwarnt.
„TOM“ IM GEFÄNGNIS
Søndergaard war an der Dagmarhus-Sabotage nicht beteiligt. Er war drei Tage zuvor, am 27. Juli 1943, in seiner Wohnung auf Amager verhaftet worden. Weder dort noch bei Stjerne Radio oder bei Carl Munck fand die Polizei Verdächtiges.
Die Verhaftung beruhte auf dem Verrat eines Gruppenmitglieds, das einen NS-nahen Tabakhändler überfallen hatte. Bei der Schießerei mit der Polizei wurde er verletzt und behauptete, er habe im Auftrag des Widerstands gehandelt – unter anderem gemeinsam mit „Tom“.
Søndergaard kam in das Gefängnis Vestre Fængsel – jedoch nicht lange. Die Gruppe hatte vereinbart, bei einer Verhaftung einen Befreiungsversuch zu unternehmen. In geschmuggelten Briefen erinnerte Søndergaard daran. Am 5. August erschienen „Bob“ und „Ewald“ im Gefängnis – als angebliche Kriminalbeamte mit gefälschten Ausweisen – und holten ihn heraus. Die Flucht wurde erst am Abend bemerkt.
Die Sicherheitsvorkehrungen im Gefängnis wurden daraufhin verschärft – aber die Gruppe hatte ihren Anführer zurück.
DER COUP – FORUM
Die bekannteste Sabotageaktion der Gruppe fand am 24. August 1943 in der Ausstellungshalle Forum statt, die die Deutschen zur Unterbringung von 1.500 Soldaten beschlagnahmt hatten. Mit einer Bierkiste voller Sprengstoff sprengte die Gruppe einen Teil des Gebäudes. Søndergaard wurde dabei schwer verletzt – er schaffte es nicht rechtzeitig hinaus.
Die Aktion fiel in den Zeitraum der sogenannten August-Erhebung mit Streiks, Ausgangssperren und Unruhen im ganzen Land. Kopenhagen blieb größtenteils verschont – doch Holger Danskes Anschlag auf das Forum war ihr Beitrag zum Aufstand.
Am 29. August riefen die Deutschen den Ausnahmezustand aus. Sabotage oder Waffenbesitz konnten nun mit dem Tod bestraft werden. Der Widerstand war gefährlicher denn je.
Mehrere Mitglieder von Holger Danske wurden nun von der Gestapo gesucht. Im September 1943 flohen die meisten nach Schweden. Einige blieben zurück und arbeiteten weiter unter dem Namen Holger Danske II.
Zu Weihnachten und Neujahr 1943 kehrten viele der ursprünglichen Mitglieder nach Kopenhagen zurück. Das Leben in Schweden war ihnen zu ruhig – sie wollten weiterkämpfen. Wieder wurde Stjerne Radio – nun von Ove Munck geführt – zur Basis. Von dort aus wurden im Januar und Februar 1944 fünf Aktionen durchgeführt, bevor die Gruppe erneut – diesmal dauerhaft – nach Schweden flüchtete.
Einige, wie „Citronen“, arbeiteten fortan dauerhaft mit Holger Danske II – vor allem im Kampf gegen Denunzianten und Kollaborateure.
Søndergaards ursprüngliche Holger-Danske-Gruppe hörte im Februar 1944 auf zu existieren. Stjerne Radio verlor seine Rolle als Widerstandsbasis – doch der Kampf ging weiter.
NACHWIRKUNGEN
Zur Zeit der Befreiung war Holger Danske zu einer bedeutenden Widerstandsorganisation herangewachsen. Am 5. Mai 1945 konnte sie 400–450 Kämpfer aufbieten.
In ihrer zweijährigen Existenz führte die Gruppe mindestens 430 Operationen durch: über 150 Sabotageakte, mindestens 170 Liquidationen oder Versuche dazu sowie mehr als 110 Waffenüberfälle.
Obwohl die Gruppe mit Sabotage begann, gewann der Kampf gegen Kollaborateure im Laufe des Krieges an Bedeutung. Holger Danske wurde zur aktivsten Liquidationseinheit. Doch da diese Phase erst Ende 1943 begann, war die Stjerne-Radio-Gruppe daran nicht beteiligt.
Holger Danske verlor über 60 Mitglieder – sie wurden hingerichtet, fielen im Einsatz oder starben in deutschen Lagern. Andere wurden inhaftiert oder deportiert – viele kehrten körperlich und seelisch gezeichnet zurück.
DIE BOMBENANSCHLÄGE AUF STJERNE RADIO
Anfang 1944 endeten die illegalen Aktivitäten bei Stjerne Radio. Doch ihr Erbe blieb. Am 13. Mai 1944 um 23 Uhr wurde Stjerne Radio von der deutsch-dänischen Petergruppe bombardiert – im Rahmen der sogenannten Schalburgtage. In derselben Nacht wurden auch Illum, Magasin du Nord und Daells Varehus angegriffen.
Am 28. Oktober 1944 wurde das Geschäft erneut bombardiert, jedoch wiederaufgebaut und blieb bis zum Verkauf 1966 im Besitz der Familie Munck – zunächst als Radiogeschäft, später als Schallplattenladen. Danach wurde dort ein Kiosk betrieben, bis das Gebäude 1996 abgerissen wurde.
Eine Mauer schloss die Baulücke in der Istedgade – sie stand fast 20 Jahre.
Heute ist diese Mauer verschwunden – und an ihrer Stelle entsteht ein Ausstellungsgebäude mit einer originalgetreuen Rekonstruktion der Fassade von Stjerne Radio aus dem Jahr 1943. Das neue Stjerne Radio eröffnete am 29. August 2015 und beherbergt heute Ausstellungen über die Besatzungszeit und den Widerstand.
Richtung nach Stjerne Radio Museum
365 Tage im Jahr rund um die Uhr geöffnet – als Schaumuseum.